Nach den vielen Bildern einmal ein kurzer Text von mir, den ich als Einführung für mein letztes Konzert geschrieben habe. Er enthält philosophische Gedanken über die Besonderheiten von Musik. Da ich auch Philosophie studiert habe ist mir diese Form der Vermittlung ein Anliegen, auch wenn ich derzeit mehr praktisch als theoretisch arbeite.
Worte sind ist mächtig, aber nur so mächtig wie die Gefühle, die wir mit ihnen verbinden. Die Grenzen unserer Sprache sind eben nicht die Grenzen unserer Welt – wie der frühe Wittgenstein in seinem berühmten “Tractatus Logicus-Philosophicus” behauptete – , oder nur, wenn man sie losgelöst von jeglichem Inhalt (Referenz) betrachtet. Wer sich jenseits ihrer Grenzen begibt mag vielleicht fürchten, in einem undifferenzerten Ozean zu ertrinken, dabei ist er nicht ohne Ordnung. Komponisten aller Epochen haben versucht diese Ordnung einzufangen, dem reinen Empfinden eine Struktur zu geben, die in manchen Aspekten feiner ist als das grobe Netz der Sprache, das wir durch den Ozean des Fühlens ziehen, um ihn zu beherrschen. Wir brauchen natürlich die Sprache, sie schlägt Pfähle in den Ozean und baut über ihm ausgefeilte Gebäude der Abstraktion, die es uns ermöglichen, die Gesetze und Narrative zu entwickeln, die unsere Gesellschaft ausmachen. Genauso wuchs aber die Musik über die Epochen zu einer Kunstform heran, die unseren Gefühle in einzigartiger Art und Weise Ausdruck gibt, und auch große Denker haben ihr schon immer ihren Tribut gezollt, wie der große Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt mit diesem wundervollen Zitat:
„Die Musik fängt dort an, wo das Wort aufhört, und wo sie endigt, reicht selbst der Gedanke nicht hin.“
Warum sonst hören wir Musik, wenn wir aufgewühlt sind. Versuchen wir unsere innersten Gedanken eher auch durch Bilder, Gesten oder Poesie darzustellen, die zwar die Sprache nutzt, aber stark assoziativ arbeitet. Trotzdem werden Worte zu häufig missverstanden. Das bekannte Diktum Roland Barthes, nach dem die Intention oder die Gefühle des Autors beim Schreiben eines Textes niemals über das rein abstrakte Schriftbild zum Leser transportiert werden können, der sich aus den auf dem Papier versammelten Zeichen immer eine eigene Interpretation erschließt, der sogenannte “Tod des Autors” belebt zwar einerseits die Debatte und lässt vielschichtige Deutungen zu, andererseits verdammt er Sender und Empfänger einer Nachricht zu Isolation. Und ist nicht das Ziel jeder Kommunikation, verstanden zu werden? Wir haben eine starke Sehnsucht nach einer Einheit im Fühlen (wie sie in Kants Kritik der Urteilskraft als „Gemeinsinn“ untersucht wird), einem „Verschmelzen“ von Bewusstseinsinhalten, doch die Zeit macht uns zu disparaten Wesenheiten. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit allerdings gleichzeitig auf den selben Gegenstand richten, synchronisieren sich die Neuronenmuster in unserem Gehirn, wie z.B. beim Hören von Musik. Die Musik zwingt uns – anders als die Sprache – ihren eigenen Takt auf, sie ist nicht abstrakt, sondern unmittelbar. Diese Macht, die die Musik hat, ist natürlich auch gefährlich, wird sie doch aus genau diesem Grund häufig zu Indoktrination und Gleichschaltung – höre: Marschmusik – gebraucht. Aber wenn sie nicht faschistisch agiert, keine Befehle erteilt, sondern nur zart darum bittet, in ihre Gefühlswelten einzutauchen, kann sie uns in unserem Verständnis einander näherbringen – sofern wir offen dafür sind.
Man kann sich treiben lassen auf den Wellen, die die Luft des Raumes zum Schwingen bringen. Die komplexen mathematischen Beziehungen der Frequenzen erfahren, die eine Stimmung ausmachen. In die Welt eines Komponisten eintauchen, dessen Empfindungen über die Jahrhunderte hinweg zu neuem Leben erwacht.
Musik kann Sprache bestimmt nicht ersetzen. Aber indem man sich jenseits ihrer Grenzen begiebt erspürt man besser ihre Beschränkungen, und auch ihre mögliche Ergänzung und Erweiterung.